Diese Stadt hat kein Geld, aber baut ein Wellenbad

Bericht im SPIEGEL

Monheim galt als eine der reichsten Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, jetzt ist sie die mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Wie konnte es so weit kommen?

Der Bürgermeisterkandidat kommt mit dem Fahrrad. Ein königsblaues Herrenrad mit Dreigangschaltung, ein Erbstück von seinem Opa. Um den Lenker baumelt ein Schloss, das so dünn ist, dass es anderswo als Geschenkband durchgehen könnte. »Keine Sorge, hier wird nichts geklaut«, sagt Lucas Risse. Nicht hier, nicht in Monheim am Rhein.

In der 43.000-Einwohner-Stadt, zwischen Köln und Düsseldorf gelegen, strahlt fast jeder Ziegelstein Wohlstand aus. Da wäre das Einkaufszentrum »Monheimer Tor«, das vor nicht einmal einem Jahr eröffnet wurde. Rund 135 Millionen Euro hat die Stadt hier investiert. Da wäre die Achtfach-Sporthalle, im März feierlich eingeweiht, die das Bauunternehmen als »größte Sporthalle Europas« preist: 4400 Quadratmeter Hallenfläche und eine Tribüne, die 500 Gästen Platz bietet. Knapp 45 Millionen Euro sind in das Projekt geflossen. Ende August öffnete ein neues Tenniszentrum, Kostenpunkt: 22,6 Millionen Euro. Aktuell baut die Stadt das örtliche Schwimmbad um, natürlich mit Wellenbad.

Kostenlose Kitas und Busfahrten

Eltern können ihre Kinder kostenlos in den städtischen Kitas betreuen lassen. Busfahren kostet nichts, überall in der Stadt können die Bewohnerinnen und Bewohner Fahrräder ausleihen. Monheim, so scheint es, hat alles, was der kommunale Wunschzettel so hergibt.

Doch der Eindruck täuscht. Monheim ist hochverschuldet. Mehr als 500 Millionen Euro kommunale Schulden lasten auf den Einwohnerinnen und Einwohnern, fast 13.500 Euro pro Kopf. Das ist Rekord. Keine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen steckt tiefer in den Miesen. Selbst vom Strukturwandel gebeutelte Ruhrgebietsstädte wie Oberhausen, Duisburg oder Gelsenkirchen stehen deutlich besser da: Dort liegt die Verschuldung jeweils bei unter 10.000 Euro pro Kopf.

Ab dem kommenden Jahr möchte Bundeskanzler Friedrich Merz klamme Kommunen stützen, die unter der Last jahrzehntelang angehäufter Altschulden ächzen. Doch das wird Monheim nicht helfen. Denn die dortigen Schulden sind nicht alt.

Bis vor einigen Jahren verbuchte die Stadt jedes Jahr Überschüsse – dank eines finanzpolitischen Manövers: 2012 senkte Bürgermeister Daniel Zimmermann, der mit seiner lokalen Monheimer Partei Peto seit 16 Jahren regiert, die Gewerbesteuer drastisch. Der sogenannte Hebesatz für die Gewerbesteuer liegt in Monheim aktuell bei 250 Prozent, das ist der niedrigste Wert in ganz Nordrhein-Westfalen.

Hunderte Unternehmen verlegten ihren Sitz in die Stadt, darunter auch Teile des Bayer-Konzerns, die aus den Nachbarstädten Leverkusen und Dormagen nach Monheim umsiedelten. »Manche der Nachbargemeinden hat das hart getroffen«, erinnert sich Philipp Gilbert, Kreisdirektor im Landkreis Mettmann, zu dem Monheim gehört. »Dass man sich innerhalb einer Region Unternehmen abjagt, hat hier bei vielen für Unmut gesorgt.« Nicht wenige hätten das als »Gewerbesteuerdumping« empfunden.

Zimmermanns Rechnung ging auf: Innerhalb von drei Jahren stiegen die Gewerbesteuereinnahmen Monheims von 16 auf 263 Millionen Euro jährlich. Es war der Beginn des Monheimer Baubooms. Doch das Modell habe einen Schönheitsfehler, sagt Kreisdirektor Gilbert: »Gewerbesteuereinnahmen fließen üppig, solange es der Wirtschaft gut geht.«

In Krisenzeiten aber kam der Geldfluss ins Stocken: Im Jahr 2024 kamen nach Angaben des Landkreises nur noch 175 Millionen Euro aus der Gewerbesteuer zusammen. »Das ist immer noch deutlich mehr als in anderen Kommunen«, sagt Christian Schölzel, Kämmerer im Kreis Mettmann. Doch das reiche nicht, um die immensen Ausgaben zu decken. Denn im Rathaus von Monheim hatten sie die erwarteten, deutlich höheren Einnahmen bereits verplant. Um die angestoßenen Bauprojekte vorantreiben zu können, muss Monheim nun seine Reserven angreifen. »Monheim hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem«, bilanziert Kämmerer Schölzel. »Die Stadt lebt über ihre Verhältnisse.«

Die Alternative: sparen. Doch davon möchte die Partei Peto, Lateinisch für »ich fordere«, nichts wissen. Wenn Daniel Zimmermann in diesem Herbst abtritt, weil er findet, es sei nach so vielen Jahren »Zeit für einen Wechsel«, soll Risse sein Nachfolger werden und die Arbeit weiterführen. Das bedeutet: Bauen, fördern, investieren, und zwar in Millionenhöhe.

»Schulden in der Infrastruktur finde ich viel schlimmer als Schulden auf dem Konto«, sagt Lucas Risse. »Schlaglöcher in den Straßen, gesperrte Spielplätze oder geschlossene Schwimmbäder treffen die Menschen unmittelbar in ihrem Alltag – eine negative Haushaltsbilanz ist erst mal nur eine abstrakte Zahl.« Auch die Bundesregierung habe das schließlich jetzt so gemacht und einen enormen Schuldenberg aufgetürmt, um zu investieren und zu sanieren.

Ausgaben von bis zu 250.000 Euro ohne Ratsbeschluss

Doch in Monheim wird nicht nur investiert, sondern auch kräftig konsumiert, etwa durch die ausladenden dreitägigen Stadtfeste, die Monheim jedes Jahr feiert, inklusive hochkarätig besetztem Bühnenprogramm. In diesem Jahr legte etwa der international gefeierte DJ Fritz Kalkbrenner auf, außerdem spielte der angesagte Musiker Kamrad. Was das kostet? »Unklar«, sagt Ratsfrau Sabine Lorenz von den Grünen. Im Haushaltsplan seien Aufwendungen für einzelne Events nicht ausgewiesen. Auch sonst zeige sich die Stadtspitze in ihrer Ausgabenpolitik wenig transparent. In der Satzung der Stadt, in Paragraf 15, findet sich ein Passus: Über Ausgaben bis zu einer Höhe von 250.000 Euro kann der Bürgermeister frei verfügen.

In der Stadt regt sich Unmut. Anfang des Jahres gingen Hunderte Menschen in Monheim auf die Straße, unterstützt von den Oppositionsparteien im Rathaus. Sie protestierten gegen die »Verschwendungspolitik der Peto«, etwa beim Bau einer Veranstaltungshalle für bis zu 4800 Gäste, die statt der ursprünglich geplanten 28 Millionen Euro nun 156 Millionen Euro kosten soll. Oder den Ausbau der Mack-Pyramide für rund 50 Millionen Euro – einem Bauwerk des Malers und Bildhauers Heinz Mack, das künftig eine Galerie und Büroräume beherbergen soll. »Diese Stadt hat nun wirklich andere Probleme«, sagt etwa Lina Schlupp, Ratsfrau der CDU. Kunst gehöre zwar in eine moderne Stadt. Aber: »Investieren kann man, wenn genug Geld da ist. Nicht bei dieser Haushaltslage.«

Doch die Opposition dringe mit ihrer Kritik kaum durch: Peto regiert mit absoluter Mehrheit – was sicher ein Grund dafür ist, dass Monheim seine Bauvorhaben mit atemberaubender Geschwindigkeit umsetzt. »Während andere Städte noch diskutieren, rollen hier längst die Bagger«, sagt Lucas Risse, der ein enger Vertrauter seines Parteifreunds Zimmermanns ist.

Ein Geysir für 600.000 Euro

In einem Kreisverkehr an der Rheinpromenade liegt ein künstlicher Geysir, gebaut im Jahr 2020. Die meiste Zeit dümpelt das Kunstwerk wie eine träge Pfütze vor sich hin. Doch haben Sensoren am Kunstwerk 64 Sonnenstunden gesammelt, stößt es vier Stunden lang Fontänen 12 Meter hoch in den Himmel. Auf der Website der Stadt können Interessierte anhand der »Ausbruchsprognose« verfolgen, wann es wohl wieder so weit ist. 600.000 Euro war Bürgermeister Zimmermann die Naturspektakel-Simulation wert.

Der Geysir, sagt Sonja Wienecke, sei der Wendepunkt gewesen. »Da habe ich erstmals gedacht: Hier läuft es aus dem Ruder.« Normalerweise würden Kreisverkehre gebaut, um den Verkehr besser fließen zu lassen. Beim Geysir passiere genau das Gegenteil: Spritzt das Wasser aus dem Boden, bringen Ampeln die Fahrzeuge zum Stehen. »Schön anzusehen, aber völlig sinnlos«, findet Wienecke das.

Die 44-Jährige tritt als unabhängige Kandidatin für die Bürgermeisterwahl an, sie wird getragen von einem Bündnis aus SPD, CDU, Grünen und FDP. Die etablierten Parteien müssen sich unterhaken, um der Übermacht der Peto etwas entgegenzusetzen.

Während sie auf den Geysir schimpft, schiebt sie mit großen Schritten einen Bollerwagen über den Ernst-Reuter-Platz im Berliner Viertel von Monheim. Er ist beladen mit Kugelschreibern, Notizblöcken, Lutschern, Fußbällen und natürlich ihrem Wahlprogramm. Es geht vorbei am Billigladen Tedi, einem türkischen Supermarkt und einem Handyshop.

Die Verwaltungsfachwirtin Wienecke lebt seit ihrer Geburt in Monheim, auch sie habe in der Vergangenheit die Peto gewählt, sagt sie. »Die haben zunächst viel bewegt, Monheim ist eine lebenswerte Stadt, besonders für Familien mit Kindern.« Doch nun habe die Peto das Maß verloren, plane nur noch »Projekte der Superlative, die jeden Rahmen sprengen«. Das Schwimmbad zu erneuern, findet sie grundsätzlich gut, »aber brauchen wir ein Wellenbad?« Die Pläne der Peto gingen an den Problemen der Menschen vorbei.

Welche das sind? Wienecke hat das Berliner Viertel an diesem Tag nicht zufällig für den Haustürwahlkampf gewählt: Viele Menschen dort seien von Armut bedroht. Manche hätten keine Arbeit. Die Chancen, die Bewohnerinnen und Bewohner an einem Dienstagmittag zu Hause anzutreffen, sind hier vergleichsweise hoch.

Wienecke betritt einen Hochhausriegel, hinter ihr geht der SPD-Ratsherr Benjamin Kenzler, das Berliner Viertel zählt zu seinem Wahlbezirk. Das Treppenhausfenster im obersten Stockwerk ist aus den Angeln gehoben, lose baumeln die Scharniere in der Luft. Auf der Fensterbank und dem Fußboden, der mal hellgrau gewesen sein muss, kleben Federn und Taubendreck. »Auch das ist Monheim«, sagt Wienecke leise.

Die Menschen, die Wienecke hier auf der Straße trifft oder aus ihren Wohnungen herausklingelt, reagieren freundlich und berichten von ihren Sorgen. Der ganze Sperrmüll, den die Leute einfach auf die Gehwege stellten – egal, ob die Müllabfuhr kommt oder nicht. Immer wieder brennende Mülltonnen, sogar brennende Autos. »Letzte Woche zog dieser stinkende Qualm ins Kinderzimmer meiner Tochter«, sagt eine junge Frau, sie ist den Tränen nah. »Ich fühle mich hier nicht sicher.«

Auch die Mieten seien zu hoch. »Ich kann mir das bald nicht mehr leisten«, ist ein Satz, den Wienecke und ihr Team im Berliner Viertel häufig hören. Was viele hier noch nicht wissen: Um die Löcher in der Kasse zu stopfen, hat die Stadt zu Jahresbeginn die Grundsteuer erhöht – auf den dreifachen Satz. Wohnungsbesitzer können die Kostensteigerung an ihre Mieterinnen und Mieter weiterreichen. »Wenn im neuen Jahr die Nebenkostenabrechnung kommt, wird das eine böse Überraschung geben«, sagt Wienecke. »Das ist doch nicht fair.«

Sie sagt, sie fürchte eine Abwärtsspirale, wie viele Städte in Nordrhein-Westfalen sie seit Jahren erleben. »Kredite ziehen immense Folgekosten nach sich, Zinsen, Tilgung – diese hohen Kosten belasten den Haushalt dann zusätzlich.« Dennoch: Zu knausrig möchte Wienecke im Wahlkampf nicht rüberkommen. Sparen ist nun mal nicht sexy. »Die Menschen sollen weiterhin kostenlos Bus fahren, auch in Wohnungsbau und Bildung wollen wir weiter investieren«, beteuert Wienecke. »Aber alles mit Augenmaß.«

Ihr Kontrahent Risse sagt: Peto habe keine Prestigeprojekte umgesetzt, sondern vor allem in Bildung und Infrastruktur investiert. Fast alle Grundschulen seien saniert. Stolz ist Risse auch auf die mehr als 500 Wohnungen, die die Stadt unter anderem im Berliner Viertel gebaut habe, »ein Drittel davon sozial gefördert«, dazu Spielplätze für die Kinder und Sitzbänke für die Älteren.

Jachthafen mit Kanal zum Rhein

Aktuell plant Peto eine Marina, einen Jachthafen mit einem Kanal zum Rhein. Seit 1994 trägt die Stadt Monheim den Zusatz »am Rhein«. »Aber wir machen zu wenig daraus«, sagt Lucas Risse. Ein Jachthafen also? Ist das nicht größenwahnsinnig? Risse zögert, das Wort »Jacht« schmeckt ihm nicht. Er bevorzuge »Sportboot«, sagt er. Also gut: Ein Sportboothafen, ist das nicht größenwahnsinnig?

Risse verweist auf eine Bürgerdiskussion aus dem Jahr 2020. »Die Menschen in dieser Stadt sind froh, wenn das Element Wasser besser genutzt wird«, sagt Risse. »Das hat auch etwas mit Stadtentwicklung zu tun.« Gebaut werden solle ohnehin erst in zehn Jahren, bis dahin habe sich der Haushalt wieder erholt.

Wirklich? Monheim spiele ein Plan aus Berlin in die Hände, sagt Risse: Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD sich darauf verständigt, dass der Hebesatz für die Gewerbesteuer bundesweit nicht unter 280 Prozent liegen dürfe. Kommt das Gesetz, muss Monheim seinen Hebesatz ebenfalls erhöhen, was mehr Geld in die Kasse spült.

Dass er gewählt wird und seine Pläne umsetzen kann, daran scheint Risse wenig Zweifel zu haben. Aktuell arbeitet er in der Personalabteilung eines Konsumgüterkonzerns in Düsseldorf. Seine Nachfolgerin, sagt Lucas Risse, arbeite sich bereits ein.

Quelle: SPIEGEL

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